Blog - Hinter den Kulissen

Eine ganz besondere Liaison

Eine ganz besondere Liaison

Das TN LOS! in der St.-Blasii-Kirche Nordhausen

Die Disposition der diesjährigen Saison bereitete in der Endphase ganz schön Kopfzerbrechen. Diesmal war es nicht die Pandemie, die alles Geplante über den Haufen warf, sondern der avisierte und dann wegen Lieferschwierigkeiten hinausgezögerte Umzug in die Interimsspielstätte, das Theater im Anbau. Zum Glück hatte die St.-Blasii-Kirche Nordhausen bereits dem Theater für die ersten Konzerte und Produktionen Heimstatt in ihrem Sakralbau angeboten. Eine schöne Geste und eine Chance – auch für künftige gemeinsame Projekte – hoffentlich.

Nicht nur in der Presse wurde in letzter Zeit mehrfach thematisiert, dass Theater und Kirchen allgemein unter Besucherschwund zu leiden haben. Nun, das trifft vielleicht nicht immer zu, immerhin hatten die diesjährigen Thüringer Schlossfestspiele Sondershausen seit ihrem Bestehen die zweitbeste Auslastung, aber es ist etwas dran an der Problematik. Beide, Kirche und Theater, kämpfen darum, Menschen mit ihren Impulsen und Inhalten zu erreichen. In einer besonderen Liaison zwischen Kirche und Theater flossen aber die Besucherströme – bei den Passionsspielen in Oberammergau. Hier traf die Verbindung offenbar auf eine Sehnsucht vieler Menschen. Ich beobachte, dass Kirche und Theater zunehmend zusammen finden, sei es in Gesprächen zu gemeinsamen Themen oder eben in der Kunst. Vielleicht liegt dies an den sehr frühen gemeinsamen Wurzeln, als noch »Priester« oder »Schamanen« theatralische Mittel als Werkzeug nutzten.

Schon in dem Ursprung des Wortes »Theater« gibt es Analogien. Theater kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet so etwas wie »Schaustätte« oder »Schauplatz«. Es werden also innere und äußere Vorgänge darstellerisch zur Schau gestellt. Auch die Kirche ist »Schaustätte«, für die Glaubensgeschichte der Menschen, die Heilsgeschichte Gottes. Wie auf einer Bühne sind übrigens die Räume in der Kirche nicht zufällig gestaltet, alles hat seine Bedeutung und einen zugewiesenen Ort, Altar, Taufbecken, Kanzel – ja selbst »Auftritte« und »Abgänge« gibt es. Sogar das Sakristei-Gebet vor Gottesdienstbeginn hat am Theater eine heidnische Variante: Vor der Premiere spuckt man sich dreimal über die Schulter. Und so wie die Darsteller:innen beim Betreten der Bühne um einen besonderen Ort wissen, empfindet die Pastorin oder der Pfarrer eine ganz besondere Energie, wenn die Kanzel betreten wird. Sie oder er treten schon beim Anlegen des Talars aus dem Alltag heraus in eine andere Dimension, bei den Bühnenkünstler:innen beginnt dies in der Maske und beim Anziehen des Kostüms.

Theater und Religion sind alt, sehr alt. Schon auf alten Höhlenmalereien sah man einen als Hirsch »verkleideten« Menschen und weiß um Rituale um Schöpfungsgeschichte, Ernte, Siegeszug oder Sex. Das europäische Theater hat seine Wurzeln in den sakralen Spielen des Dionysoskultes der Antike. Es folgten später Passions- und Mysterienspiele, die teils etliche Tage dauerten und die mit reichlich Alkoholgenuss begangen wurden. Da schließt sich dann wohl der Kreis zu den Dionysos-Feiern. Leider war hier die Kirche Spielverderber, die diese volkstümliche Tradition im ausgehenden 16. Jahrhundert verbot.

Eine Produktion, die am 23. September in der St.-Blasii-Kirche ihre Premiere haben wird, ist das Musical »Jedermann«. Der Ursprung der Geschichte stammt aus jener Zeit der Mysterien- und Moralitäten-Spiele. Das »Everyman-Spiel« entstand im 15. Jahrhundert in England.

Jedermann, ein reicher Mann, erkennt in der Geschichte im Angesicht des Todes, dass Mammon vielleicht doch nicht das Nonplusultra sei und setzt nun alles in Bewegung, um noch Erlösung zu finden. Der Teufel zählte übrigens in diesem wie in den meisten Mysterienspielen zu den beliebtesten Charakteren. Sein Auftritt war immer mit viel Lärm und Knallerei verbunden. Im Musical begegnen wir der volkstümlichen Variante des Teufels, er ist eher ein Angestellter des lieben Gottes, in dessen Auftrag er die Menschen schreckt, um sie zu einem gottgefälligeren Leben zu führen. Das eigentliche Sagen hat der Tod, er beendet das irdische Leben. Unser Jedermann lebt so, als würde es den Tod nicht geben, und das fällt ihm am Ende seines Daseins ganz schön auf die Füße.

Wie schön, dass sich Kirche und Theater, die sich nach den Mysterienspielen immer weiter auseinander bewegten, nun hier in einem Mysterien-Spiel, dem Musical vom Sterbenlernen, örtlich zusammen finden.

Es blieben über die Jahrhunderte noch viele andere Gemeinsamkeiten erhalten. Das sind die Fragen nach den Existenzialen des Menschseins, es geht um Leben und Tod, um Gewalt und Frieden, und immer wieder auch um die Liebe und um Trost, wie auch in »Ein Deutsches Requiem« von Johannes Brahms. Dieses wird von Ivan Alboresi choreographisch mit dem Ballett TN LOS! in Szene gesetzt und hält ab dem 14. Oktober 2022 Einzug in die Blasii-Kirche. Johannes Brahms vertonte in »Ein deutsches Requiem« ganz bewusst Texte der Bibel, die den leidenden und trauernden Menschen in den Vordergrund rücken, ihm Hoffnung und Zuversicht spenden – der Lebende und Leidtragende soll getröstet werden.

Den Auftakt unseres Besuchs in der St.-Blasii-Kirche macht das 1. Sinfoniekonzert am 9. September 2022 mit Werken von Alexander Glasunow, Robert Schumann und Antonín Dvořak. Das Loh-Orchester spielt unter seinem neuen GMD Pavel Baleff mit László  Fenyö als Solisten am Violoncello. Es folgt am 16. September 2022 die Operngala »Liebe, Lust und Leiden« zur Spielzeiteröffnung.

Natürlich wissen wir sehr wohl auch um die Unterschiede, ein Gottesdienst ist nicht Theater und im Theater wird kein Gottesdienst gefeiert. Aber Danke, dass wir in der St.-Blasii-Kirche spielen dürfen.

Renate Liedtke

 

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