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DER MANN, DER DIE PUPPE ZUM LEBEN ERWECKT

Patrick Jech übernimmt im Musical »Der kleine Horrorladen« eine ganz besondere Rolle, bei der er nicht zu sehen sein wird: Als Puppenspieler spielt er die fleischfressende Pflanze Audrey II. Welche Herausforderungen sich ihm dabei stellen und was überhaupt für ihn den Reiz des Puppen- bzw. Figurentheaters ausmacht, erzählt er im Gespräch mit Juliane Hirschmann.

Du bist nicht zum ersten Mal hier bei uns. Durch was kennt man dich hier am Theater Nordhausen bereits?

Im letzten Jahr war ich zu den »Frühlingsrollen« mit dem Märchen »Vom Fischer und seiner Frau« im Theater unterm Dach. 2016 habe ich in »Die Tänzerin von Ausschwitz« mitgewirkt, einem Projekt mit einer Tänzerin und einem Tänzer und einer weiteren Puppenspielerin in der Inszenierung von Bianca Sue Henne und der Choreografie der damaligen Ballettdirektorin Jutta Ebnother. Ein Jahr zuvor war die Premiere des Figurentheaters »Bei der Feuerwehr wird der Kaffee kalt«. Mein erstes Stück in Nordhausen war 2015 »Die Weihnachtsgans Auguste«.

Wo erlernt man die Kunst des Figurenspiels?

Ich habe es an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, Abt. Puppenspiel, gelernt. Es ist aber auch über den Studiengang »Figurentheater« an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart möglich. Daneben gibt es Kursangebote zum Beispiel am Figurentheaterkolleg in Bochum. Doch ich kenne auch Spieler, die keine Ausbildung haben, es aber ganz toll machen

Mit was arbeitest du als »Puppenspieler«? Gemeinhin denkt man wohl zuerst an Puppen und an Marionetten …

Interessant ist, dass die meisten Menschen bei »Puppe« tatsächlich an Handpuppen und Marionetten denken und diese Kunstform mit Kindertheater in Verbindung bringen. Ich selbst bezeichne mich lieber als »Figurenspieler«. Und wir spielen natürlich nicht nur für Kinder.

Figurentheater fängt beim Material an. Man kann mit Sand, mit Wasser, mit Objekten arbeiten, wie mit dieser Gabel hier, die sich im Kaffee ertränkt [zeigt es]. Papier ist auch ein tolles Material, das immer gerne genommen wird. Natürlich spielen wir auch alle möglichen Puppenarten, kleinste Puppen, Fingerpuppen. Tischfiguren gehen auch, oder Gliederpuppen, die von mehreren Spieler:innen gespielt werden. Maskentheater würde ich auch dazurechnen, das ist so ein Grenzbereich.

Was macht für dich den Reiz des Figurenspiels aus?

Mich fasziniert die Möglichkeit, sich über ein anderes Material, über ein anderes Objekt ausdrücken zu können.

Dabei kann ich als Puppenspieler eine Beziehung zu der Figur haben: als für alle sichtbarer »Techniker« zum Beispiel, der die Puppe »bedient«, oder in einer Rolle, zu der die Figur dann in einer Interaktion steht. Anders herum kann ich aber auch unter einer Spielleiste abtauchen oder, wie beim »Horrorladen«, so in der Puppe verschwinden, dass das Publikum das Gefühl bekommt, dass die Figur von alleine lebt. Ich bin als Spieler ja nicht zu sehen.

Die Frage ist aber auch, wo Figurentheater anfängt. Es kann zum Beispiel etwas auf der Bühne zu sehen sein, das zwar nicht unmittelbar bespielt wird, aber doch auf etwas verweist und somit ebenfalls etwas erzählt. Das ist auch eine Art Objekttheater, ein Spiel mit Objekten.

Die Figuren müssen zum Leben erweckt werden, aber sie sind trotzdem nicht lebendig. Wie intensiv lassen sich hier Emotionen transportieren?

Wenn du in den Objekten, in den Puppen Teile deines Lebens wiedererkennst, dann ist es schon möglich, ein intensives Erleben zu schaffen. Dann geht es auch um den Umgang mit den Dingen. Eine Kaffeetasse etwa kann ich auf unterschiedliche Weise nehmen: Ich kann sie sanft zu mir hinschieben, ich kann sie aber auch gewaltvoll packen. Und wenn ich es vorher geschafft habe, dir zu vermitteln, dass du die Tasse bist oder die Tasse überhaupt ein lebendiges Wesen, dann macht das, je nachdem, wie ich mit ihr umgehe, etwas mit dir.

Aber mit einem menschlichen Darsteller bzw. einer menschlichen Darstellerin auf der Bühne ist die Möglichkeit zur Identifikation mit der Rolle ja sicher größer. Bei der Puppe oder der Figur hat man doch eine gewisse Abstraktion.

Ja, aber das ermöglicht auch ein Mehr an Projektion, da ja nicht so viel vorgegeben ist, man sich mehr hinzudenken muss. Es gibt mehr Spielraum für die eigene Vorstellungskraft.

Wann greift man zu Puppen bzw. Figuren anstatt zu lebenden Menschen?

Zum einen durchaus aus ökonomischen Gründen: Als Figurenspieler kann ich ja alleine gut unterwegs sein. Ich kann meine ganze Personnage mitbringen, nachdem sie einmal angefertigt wurde, und die übernachtet im Koffer. Schön ist, dass ich eine ganze Welt alleine erschaffen kann, die Figuren selbst erstellen, das Licht in Eigenregie gestalten, entscheiden kann, wie groß etwas sein soll usw. Ich bin Regisseur, Ausstatter, Beleuchter in Personalunion.

Und es gibt durchaus den Impuls, dass das, was ich jetzt grade ausdrücken möchte, besser über die Figur funktioniert. Jemand anderes malt ein Bild und schreibt keinen Text. Und ich kann natürlich mit dem Figurentheater auch noch andere Fantasieräume öffnen, die so mit menschlichen Darstellerinnen und Darstellern nicht möglich sind. Ich kann zum Beispiel mit Größenverhältnissen spielen, dann habe ich ganz kleine Figuren, mit denen ich spreche.

Was ist für dich in unserem Musical »Der kleine Horrorladen« die Herausforderung?

Die besondere Herausforderung ist das Synchronisieren mit Marvin Scott, der der fleischfressenden Pflanze Audrey II ihre Stimme gibt, während ich die Puppen animiere. Ich werde Marvin nicht sehen, genauso wie das Publikum ihn nicht sieht. Mich sieht man auch nicht. Dadurch ist die Illusion gegeben, dass diese in den Werkstätten angefertigte Pflanzen-Puppe lebt, spricht und singt. Um die zwei völlig voneinander getrennten Vorgänge zusammenzuführen, müssen Marvin und ich sehr gut aufeinander eingespielt sein, muss ich auch seinen Text kennen.

Dann habe ich natürlich die verschiedenen Puppen zu spielen, denn die Pflanze wächst ja in der Geschichte. Am Anfang habe ich eine Handpuppe. Die zweite Puppe wird von Marian Kalus, der den Blumenverkäufer Seymour verkörpert, selbst gespielt. Er hat sie auf dem Arm, da werden wir noch ein kleines Training machen. Dann gibt es die zweitgrößte Puppe, hier sitze ich im Blumentopf, habe eine Hose an, die wie Luftwurzeln aussehen. Diese Puppe wird mir wie ein großer Helm übergestülpt. Den Oberkiefer der Pflanze habe ich auf meinen Schultern, wie so ein Rucksackgestell, den Unterkiefer bewege ich mit der einen, die Zunge mit der anderen Hand. Die ganz große, letzte Pflanzenpuppe werde ich wahrscheinlich nicht ganz alleine bedienen, sondern Unterstützung von einem Kollegen der Technik bekommen. Sie hat eine große Mechanik, wie ein Bagger. In ihr müssen ja die Leute verschwinden.

Je größer die Puppen werden, desto schwerfälliger werden sie in ihren Reaktionen. Mit der kleinen kann ich natürlich noch sehr schön differenziert spielen oder auch mit dem Sänger flexibler synchronisieren.

Der »Horrorladen« wird hier in Deutschland sehr viel gespielt. Die Puppen, die die Theater verwenden, sind immer wieder anders konstruiert. Ich spiele das Stück zum Beispiel auch gerade in Detmold, und zumindest die beiden großen Puppen, die wir dort haben, unterscheiden sich von unseren hier schon sehr.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Die Fotos zeigen die fleischfressende Pflanze Audrey II in noch nicht ganz fertigem Zustand.

 

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