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DON GIOVANNI – EIN PERFIDER FREIHEITSKÄMPFER

Philipp Franke ist Don Giovanni

Philipp, was ist für dich die Herausforderung bei der Darstellung der Figur des Don Giovanni?

Zum einen ist es eine konditionelle Herausforderung. Die Rolle geht durch das ganze Stück. Es gibt kaum eine Szene, die ohne Don Giovanni direkt oder ohne den Bezug auf ihn funktioniert. In unserer Inszenierung haben wir die Figur des Giovanni etwas erweitert – vom reinen Manipulator und Verführer zu einem Künstler, der eigentlich ein Soziopath ist. Giovanni zeigt keine Emotionalität, bzw. er drückt seine Emotionalität weg – dadurch, dass er sich immer in neue Abenteuer flüchtet und, dass er sie in Kunst ausdrückt. Nur, wenn er einmal ausbricht, ist er von Null auf Hundert, aber ebenso schnell wieder zurück. Giovanni möchte die Emotionalität gar nicht erleben, er möchte sie in seinen Werken ausdrücken. Das darzustellen, ist für mich eine wahnsinnige Herausforderung. Es ist auch ein Kraftakt, sich in diese Figur immer hineinzudenken, in eine Figur, die so ambivalent ist, geradezu manisch depressiv.

Don Giovanni also als Künstler – folgerichtig ist in der Produktion die Bühne quasi das Atelier von ihm – hier eine Art-Factory, wie man sie von dem Pop-Art-Künstler Andy Warhol kennt. Du hast privat auch Affinitäten zur darstellenden Kunst, das kommt dir bei der Interpretation dieser Sicht des Giovanni sicher entgegen. Woher holt sich dieser Giovanni seine Inspiration, von den Frauen?

Er holt sich seine Inspiration aus allem, was ihn umgibt. Ich sagte vorhin, er sei ein Soziopath, zumindest verhält er sich so, aber eigentlich stimmt das nicht ganz, denn er fühlt schon den Schmerz und auch die Lust der Menschen, all das, was er verursacht, aber anstatt es an sich heran zu lassen, verarbeitet er es in seinen Kunstwerken, er leitet es quasi ab. Zum Anfang deiner Frage: Ja, ich bin sehr kunstaffin und auch in dieser Richtung ausgebildet. Ich wollte sogar Malerei und Grafik studieren, habe mich dann aber kurzfristig für die Musik umentschieden. Privat male ich, wenn ich Zeit habe. Wenn, dann sind es Momente, die oft auch theaterbezogen sind, Momente, die ich für mich bewahren möchte.

Was macht die Faszination von Dom Giovanni aus? Sind die Frauen blöd, dass sie auf ihn reinfallen?

Nein, sie sind überhaupt nicht blöd. Ich glaube, Künstler üben generell eine Faszination aus, weil sie sich selbst in den Mittelpunkt stellen und ihr ganzes Leben dem gewidmet haben, sich selbst auszudrücken. Natürlich ist das in der Musik noch ein bisschen etwas anderes, weil man auch immer Diener des Komponisten ist. Da drückt man die eigenen Emotionen durch diesen Filter, durch das Genie eines Komponisten, aus. In der Malerei geht es eher um die ureigene Persönlichkeit. Alle Frauen in der Oper erleben eine sehr charismatische Persönlichkeit, sie sehen jemanden, der sich selber eine Freiheit herausnimmt, die sie sich in ihrem eigenen Leben nie gestatten würden. Um seelisch gesund zu bleiben, versucht ein Mensch immer, die eigenen Kräfte ins Gleichgewicht zu bringen. Man kennt das, wenn zum Beispiel Leute, die sehr cholerisch sind, sich dann liebevoll um ein kleines Hündchen kümmern.

Ich glaube, Don Giovanni gibt all diesen Frauen das Gefühl, dass sie durch ihn etwas erleben können, sich auch eine Freiheit herausnehmen können, die ihnen ein normales gesellschaftliches Leben gerade als Frau nie zugestehen würde. Es ist ambivalent. Natürlich ist es eine Perversion, wie er Frauen konsumiert und wieder wegwirft, aber er gibt diesen Frauen auch die Chance, Teil seines Lebens, Teil seiner Interpretationen, seiner Kunst zu sein und sich selbst darin ein stückweit zu verewigen und zu sehen. Ich glaube, die Sicht auf Giovanni wird durch den Aspekt des bildenden Künstlers noch extrem verstärkt, weil die Frauen ihm auch gleichzeitig als eine Art Muse dienen. Egal aus welchen Gesellschaftsschichten sie kommen, sie werden als Frau auch von ihren Männern nie so wahrgenommen, als Inspiration, als Mensch, als jemand, der es wert ist, ausgedrückt und verewigt zu werden. Giovanni schafft es in Bruchteilen von Sekunden, ihnen das Gefühl zu geben, Teil von etwas Besonderem zu sein. Er stellt sie in den Mittelpunkt und liebt sie vielleicht wirklich für diesen Moment. Dann ist es halt wieder vorbei. Diese Art von Intensität kann er mit einer Person nicht aufrecht erhalten. Für eine ruhige Langzeitbeziehung ist Giovanni nicht gemacht, zumindest hat er sich dagegen entschieden. Er möchte ein Leben, was nur Höhepunkte hat. Er ist ein perfider Freiheitskämpfer. Die Frauen werden von ihm nicht abgewertet, sondern er wertet sie für diesen Moment auf, es ist nicht antifeministisch. Ich denke da an Zerlina, die in unserer Produktion beim Catering arbeitet, einen gleichförmigen Alltag hat und wohlhabende Leute bedient. Dann kommt da jemand, den alle verehren, den alle als Institution wahrnehmen und der möchte Zeit mit ihr verbringen, er möchte sie verewigen, sich von ihr inspirieren lassen. Sie glaubt, ihr Leben gewinne unglaublich an Bedeutung. Das ist nicht nur für Frauen verführerisch, das ist für Männer ganz genauso attraktiv, deswegen spielen wir auch so die Beziehung zu Leporello. Leporello ist einfach verliebt in Don Giovanni. Giovanni kann allen, auf die er sich gerade konzentriert, dieses Gefühl geben, Mittelpunkt der Welt zu sein. Wer würde da nicht drauf reinfallen?   (Foto auf Probebühne gestellt)

Das Gespräch führte Renate Liedtke.

 

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