Blog - Im Gespräch mit...
HIGH HEELS, DREISSIG METER FEDERBORTE UND PINKE LEOPARDEN
Am 12. April 2024 hat am TN LOS! das Musical »Ein Käfig voller Narren« in der Inszenierung und Choreografie von Ivan Alboresi Premiere. Pascal Seibicke, der bereits mit seiner Ausstattung bei der Musical-Produktion »Jane Eyre« am Nordhäuser Theater mit einer sensationellen Ausstattung für Aufsehen sorgte, ist auch in dieser Inszenierung für die Kreation der Kostüme und des Bühnenbildes verantwortlich.
Pascal Seibicke studierte Bühnen- und Kostümbild in München. Seit 2012 führte ihn seine Tätigkeit an Häuser wie die Staatsoper Hamburg, das Festspielhaus Baden-Baden, das Luzerner Theater, an die Staatstheater in Augsburg, Hannover, Darmstadt, das Saarländische Staatstheater, die Münchner Kammerspiele und an diverse andere Theater. Im Gespräch mit Renate Liedtke berichtet er über seine Arbeit in Nordhausen.
Beim Gang durch den Flur, in dem die Ausstattung im Theater im Anbau beheimatet ist, fallen Kartons mit schrillen, exorbitanten Stiefeln und High Heels ins Auge. Schuhe scheinen in dieser Produktion eine große Wichtigkeit zu haben. Du sagtest, du warst gerade dabei, die guten Stücke durchzuzählen, wieviel gibt es denn und vor allem, mit welcher Absatzhöhe?
Ich glaube, für die Tänzerinnen und Tänzer allein sind es fast fünfzig Paare, dann sind es noch für die drei Haupt-Cagelles (Drag-Künstler) jeweils vier, Gaines Hall, der Albin und sein Alias Zaza verkörpert, hat acht Paar Schuhe, er hat auch zehn Kostüme, Yuval Oren hat drei paar Schuhe, die anderen alle jeweils zwei – dann der Chor – wir sind sicher bei hundert Schuhen und unser höchster Absatz misst achtzehn Zentimeter.
Und wer trägt dieses »Hochhaus«?
Die High-Heels mit achtzehn Zentimetern trägt Thiago Fayad, der Jacob, den Buttler, spielt.
Und die Männer können mit diesen Schuhen gut laufen?
Tatsächlich fast alle – es ist erstaunlich! Sie schmeißen sich da rein und stolzieren im Flur übend hin und her. Es ist mega toll, allein das schon zu sehen. Man denkt, sie brauchen gar kein Kostüm mehr, bereits dieser Anblick ist schon beeindruckend.
Das sind aber auch »geile Teile« …
Ja, wir haben da nicht gespart. Ich finde, gerade die Schuhe machen eine Drag-Persönlichkeit noch einmal mehr besonders.
Die hiesige Bühnensituation ermöglicht, da das Orchester hinter der Bühne sitzt, sehr nah am Publikum zu spielen. Ein Vorteil?
Absolut. Wir spielen zudem sogar ein bisschen in den Zuschauerraum, man sieht also alles, auch die Details, das ist unglaublich schön.
Du bist ja sowieso sehr detailverliebt, da wird jedes Strassteilchen persönlich positioniert…
Ja, ich finde, das lohnt sich einfach, dass macht alles noch schöner und besonders. Alle sagen, dass »La Cage« »mein Stück« sei, dass es super zu mir passen würde, aber genau das ist nun auch die größte Herausforderung für mich. Ivan hat mir ja schon sehr früh gesagt, dass wir »La cage aux Folles« zusammen machen werden …
Seit wann weißt du es?
Ich denke, im November/Dezember 2022 kam Ivan auf mich zu. Seitdem rotiert das Stück in meinem Kopf. Drag ist so vielschichtig geworden – durch Trans und auch die verschiedenen Drag-Stile. Ich gebe auch Vorlesungen an der Uni zu dem Thema.
Du unterrichtest an der Hochschule zu Drags?
Ja, ich halte Vorlesungen zum Beispiel an der Hochschule für Bildende Kunst in Dresden für den Kostümdesign-Studiengang. Drag und Crossdressing sind die Hauptthemen.
Wo holst du deine Ideen, deine Inspirationen her? Gehst du in Drag-Shows?
Ja, auch das, und das macht wahnsinnig viel Spaß. Und dann schaue ich oft RuPaul‘s Drag Race. RuPaul ist eine der weltweit bekanntesten Dragqueens in Amerika. In seiner Fernsehshow treten Dragqueens im Wettbewerb gegeneinander an. Seit 2009 gibt es inzwischen 16 Staffeln. Es gibt Ableger in fast jedem Land, auch in Deutschland im letzten Jahr. Am Schluss wird die beste Dragqueen in einer großen Show gekrönt. Ich habe so meine Lieblinge, wie Sasha Velour und Violet Chatchki, Milk und Yvie Oddly . Die kommen auch nach Hamburg zu Shows und da bin ich eigentlich immer dabei. Diese Shows sind eine Mischung aus Kunst und Witz, was Drag durchaus hat, haben aber durchaus auch Tiefeninhalt.
Das eine ist die Inspiration, dann muss diese aber auch in eine Figurine gezaubert werden, die unsere Gewandmeisterei als Vorlage für das Kostüm nutzt. Wie ist da der Weg, zeichnest du, arbeitest du am PC?
Bei so modernen Sachen fotoshoppe ich gern zusammen, collagiere aus verschiedenen Fotografien. Moderne Schnitte sind besser zu erkennen, wenn man sie fotorealistisch vor sich hat, als wenn sie gezeichnet sind. Ich sage dann, was mir wichtig ist – welche Silhouette, wie die Schultern, ob wahnsinnig tailliert, ob künstliche Brüste drunter kommen oder ein ausgepolsterter Hintern.
Das muss dann aber auch sitzen, nichts Schlimmeres, als wenn beim Tanzen der Po verrutscht.
Wir haben spezielle Hosen gebastelt, jeder hat zudem drei Strumpfhosen an. Das ist bei Drags auch besonders, dass sie »tausende« von Strumpfhosen übereinander anziehen, um alles rund und schön zu kriegen. Unsere tragen zwei hautfarbene und eine Netzstrumpfhose darüber, weil die einfach ein schönes Bein machen.
Alle tanzen auf der Bühne und sind sehr aktiv, da wird’s doch ganz schön warm mit den vielen Hosen.
Ja, da müssen alle durch. Es gibt außerdem für kaum jemanden Pausen. Wer nicht gerade auf der Bühne ist, hat einen schnellen Umzug oder Perückenwechsel.
Hast du mit deinen Ideen die Gewandmeisterei und die Maskenabteilung so ein bisschen an die Grenzen gebracht?
Ich glaube ja. Aber das ist das Besondere hier am Haus, das alle mit wahnsinniger Lust an die Umsetzung herangehen. Das ist hier, finde ich, einzigartig an der Schneiderei, der Maskenabteilung und auch an den Werkstätten, dass alle so für dieses Endprodukt arbeiten. Alle packen da ihr Herzblut rein. Zum Beispiel Kati (Gewandmeisterin) hat irgendwelche alten Sitzpolster zugeschnitten, als Po-Polster ausgeformt und zugesägt. Sie hat sich extra einen Bratenschneider dafür gekauft. Alle haben sich youtube-Videos angeschaut, wie eine Drag-Queen »entsteht«, z. B., wie ein Drag-Makeup gemacht wird. Da wird erst einmal ein komplett neues Gesicht geformt, auf das dann geschminkt wird, das nennt man Contouring. Man verändert die Männer so in ihren Konturen und ihrer Körperlichkeit, dass alles sehr artifiziell wird.
Und – man höre und staune, die Kostüme sind schon fertig.
Ja, ich war sehr überrascht. Wir sind sehr modern in allem, haben den alten »La Cage«-Staub abgeschüttelt …
Also keine Federn und Boas?
Doch, Federn haben wir auch. Allein im Hauptkleid von Gaines Hall sind dreißig Meter Federborte nur am Rock. Dann haben wir noch eine Hose bei den Tänzern, da sind auch noch einmal vier Meter verarbeitet. Es sind insgesamt gut hundert Kostüme, die alle angefertigt wurde. Es gab kein Kostüm, was einfach so aus dem Fundus genommen wurde. Wir haben den ganzen Chorsatz im Leopardenprintdesign angefertigt. Da wurden extra über 100 Meter Stoff bedruckt. Den habe ich designt, damit er komplett dasselbe Muster wie die Tapete hat. Die Tapete hat der Malsaal nach meiner Vorlage gemalt, wie übrigens vieles auf der Bühne gemalt wurde.
Mit derart speziellen Kostümen muss Gaines Hall doch vorab auf der Bühne probieren?
Ja, wir haben die Kostüme auch schon hin und wieder auf der Bühne gehabt. Die müssen teils auf der Bühne an- und ausgezogen werden. So etwas muss probiert werden, um herauszufinden, wie was funktioniert. Selbst die Schuhwechsel müssen geübt sein. Da steckt ein riesiger Planungsaufwand dahinter. Auch die Technik muss innerhalb weniger Minuten hinter der Bühne ein komplett neues Setting aufbauen, während vorne die Show läuft. Das war eine große Herausforderung, weil hier in der Interimsbühne hinten kaum Platz ist. Wir sind schon auf den Flur ausgewichen und haben da Garderobenplätze eingeplant. Das schöne ist, dass alle mit ganzem Herzen voll dabei sind.
Das Bühnenbild hast du auch entworfen.
Ja, genau, zwischen großer Eleganz und kurzen »Augenkrebsmomenten« (er lacht). Bei der Bühne wie bei den Kostümen habe ich geschaut, dass wir sowohl die lauten schrillen Momente haben, wie auch sehr schlichte, intime und sehr elegante, so dass alles sich die Waage hält. Man hat die große Show, aber auch die große Emotionalität und Tiefe des Stückes. Da wir durch die Interimslösung keine großen technischen Möglichkeiten nutzen können, muss jedes Bühnenteil in die Hand genommen und auf die Bühne gebracht werden. Da ziehe ich meinen Hut vor allen, die an diesem Abend hinter der Bühne arbeiten. Es ist einfach ein Kraftakt für alle, nicht nur für die Darsteller auf der Bühne. Hier braucht keiner ein Fitnessstudio extra.
Doch, Gaines geht jeden Tag zum Training ins Studio …
Genau, Gaines ist wahnsinnig fleißig. Das finde ich an ihm sehr beeindruckend. Er geht auch den ganzen Tag auf diesen High Heels. Er ist eben perfekt, zieht es gnadenlos durch. Ein richtiger Theaterprofi eben.
Die Beleuchtung wird auch noch einmal eine extra Nummer.
Grob haben wir das Stück schon durchgeleuchtet. Jetzt geht es an die Feinarbeit. Die Optik ist bei einem Musical wie »La Cage aux Folles« wahnsinnig wichtig. Ivan hatte da viel Vertrauen in mich gehabt. Vieles ist doch sehr abstrakt und so manch einer konnte mit den sehr crazy Mustern erst einmal nichts anfangen. Wir haben zum Beispiel einen pinken Leopard als Wand, pinken Glitzer, dann neongrüne Schlangenmuster und schließlich noch einen Zebrasessel – das ist mein Tierprintwohnzimmer. Es ist das Apartment von Georges und Albin. Es gibt aktuell einen großen Trend unter diversen Künstlern und Influencern, sich ein Barbie-Zimmer, ein Marshmallow-Zimmer oder z. B. ein Schokoladenzimmer einzurichten. Daran habe ich mich orientiert und bin dann bei Tiermustern gelandet. Übrigens sei erwähnt, zu Hause bin ich total puristisch unterwegs. Das ist meine Ruhezone, und zum Arbeiten brauche ich eine klare Strukturiertheit.
Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg mit »Ein Käfig voller Narren«!