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HIN- ODER WEGSCHAUEN?
Im Gespräch mit Wolfgang Türks

Wolfgang Türks war bereits in der Saison 2022/2023 am TN LOS! zu Gast. Er brachte die Produktion »Sonnenstrahl im Kopfsalat» auf die Bühne des Jungen Theaters. Jetzt inszeniert er »Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute«.
In Jens Raschkes Schauspiel »Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute« schauen die erdichteten Tiere des historisch verbürgten »Zoologischen Gartens Buchenwald« über den Zaun des Konzentrationslagers und sehen, was die »Gestiefelten« den »Gestreiften« antun. Die Tiere haben unterschiedliche Strategien, mit den grausamen Geschehnissen umzugehen.
Du sagtest in deiner Konzeptionsvorstellung, es sei ein »Geschenk und eine Herausforderung«, dieses Stück von Jens Raschke zu inszenieren. Worin besteht die Herausforderung?
Das Stück ist sehr dicht gebaut, die Darsteller*innen müssen sehr schnell in die verschiedenen Figuren, in die verschiedenen Situationen hineinspringen. Das Ganze funktioniert teilweise wie ein Hörspiel. Da steht man dann vor der Frage, was dem Text szenisch hinzufügt werden muss, und wo das Gehörte schon alleine ausreicht. Die Herausforderung ist es, da die richtige Dosierung zu finden.
Es ist kein leichtes Thema und ich hatte schon beim Lesen einen Kloß im Hals. Ihr bietet es für Jugendliche ab 12 Jahren an, der Verlag empfiehlt es sogar ab 9 Jahren. Wie öffnet ihr die Tür zum Zugang für diese Altersklasse?
Die größte Hilfe ist hier das Stück an sich. Es ist eine gute Mischung aus Leichtigkeit und Schwere. Es schafft, dieses ernste Thema immer wieder mit einem Lachen zu verweben. Und es hilft auch, dass eine ganz klare Grundfrage im Raum steht: Wie verhalte ich mich, wenn ich Leid sehe? Und das gibt es überall auf der Welt. Hunger, Krieg - oder viel näherliegend, der gemobbte Schüler leidet auch. Was kann ich tun? Wie verhalte ich mich? Eher wie der Pavian, der wegschaut, oder wie der Bär, der eingreifen will?

Wofür stehen die Tiere? Wenn du jedes mit einem charakteristischen Wesenszug beschreiben müsstest, was würdest du sagen?
Die Tiere spiegeln natürlich menschliches Verhalten. Der Pavian möchte die Kontrolle über sein Leben behalten und vermeidet mögliche Konflikte mit irgendwelchen Obrigkeiten. Dann gibt es den Bären, den vor allem eine unbändige Neugier treibt, alles herauszufinden und der sich mit seiner Empathie wundert, warum man den »Zebras« auf der anderen Seite nicht hilft. Das Murmeltiermädchen lebt bewundernswert in den Tag hinein, aber es vergisst, was gestern war. Um aber seiner Gegenwart begegnen und in der Zukunft etwas ändern zu können, wäre es gut sich an die Vergangenheit zu erinnern. Das fällt dem Murmeltiermädchen schwer, nicht nur wegen der sechs Monate Winterschlaf. Und dann haben wir da noch das Mufflon, das immer wieder von seinen Gefühlen überrannt wird, es aber nicht schafft, zu sich und seiner Meinung zu stehen.
Es sind ganz unterschiedliche Tiere im Zoo, die vom Ensemble gespielt werden. Wie steigen die Schauspieler und die Schauspielerin in die tierischen Rollen ein und werden sie durch Musik unterstützt?
Neben den Hauptfiguren spielen die Darsteller*innen auch noch viele andere Tiere und Menschen, zum Beispiel Eichhörnchen, Rehe, Schwäne, »Gestiefelte« und »Gestreifte«. Und das tun sie auf unterschiedliche Weise. Mal steigen die Spielenden komplett mit ihrem Körper in die Tiere ein, mal nutzen sie nur ihre Stimme und mal sehen wir Menschen, bei denen nur noch der Rhythmus, an ein Tier erinnert. In dem Stück braucht es schnelle Wechsel von Spielweisen. Die Geschichte wird ab und zu aus der Perspektive der Tiere erzählt, dann aus dem Blickwinkel der Gestiefelten und dann wiederum sieht man, was die Gestreiften sehen. Die Musik und Geräusche, die ich auswähle, müssen diese Erzählwechsel unterstützen. Sie schaffen die Atmosphäre, sie bebildern hörspielartig die Situation oder sie sind motivische Hinweise auf die Charaktere und ihre Gefühle.

Ihr habt euch beim Besuch vom Konzentrationslager Buchenwald auch die Bärenburg angeschaut. Sie liegt wirklich unmittelbar am Stacheldrahtzaun. Lasst ihr den Ort in euer Bühnenbild einfließen?
Ja, in Andeutungen. Wir waren bei unserem Besuch sehr überrascht, wie nah der Zaun wirklich am ehemaligen Bärengehege liegt. Aber schon bevor wir in Buchenwald waren, hatten wir eine ähnliche Spielfläche entworfen mit einem Zaun und einem Schornstein. Es geht uns ja nicht um eine detailgetreue Wiedergabe des Ortes. Es ist doch viel schöner, die Fantasie des Publikums anzuregen.
Im Titel steht das Nashorn. Ich habe es als Rolle gar nicht auf der Besetzungsliste lesen können. Kommt es auch auf die Bühne? Was ist mit dem Nashorn? Du sagtest, das Stück ist auch irgendwie ein Krimi.
Am Anfang der Geschichte erfahren wir, dass das Nashorn gestorben ist. Alle Tiere stellen Theorien auf, wie es gestorben sein könnte, aber niemand weiß es. Aber keine Sorge, im Laufe des Stückes wird dieser Krimi noch aufgelöst. Und ja, das Nashorn kommt auch auf die Bühne, aber wie, das verrate ich nicht.
Vielen Dank für das Gespräch!
Renate Liedtke