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Theaterblut und Clownsnasen

Im Gespräch mit Requisiteurin Marie-Sophie Oberdieck

Seit Mai letzter Spielzeit ist Marie-Sophie Oberdieck Requisiteurin am TN LOS!. Mit der Produktion »Jane Eyre« am TN LOS! ist sie in den Job eingestiegen und hat im Anschluss das Musical »3 Musketiere« bei den Schlossfestspielen Sondershausen betreut. Nun steht »Johnny Hübner greift ein« auf ihrer Agenda. Gestern war technische Einrichtung für dieses Theaterabenteuer, welches am 23. Oktober 2022 im Jugendclubhaus Nordhausen Premiere haben wird. Bei dieser sogenannten TE wurden auch die Requisiten, also die vielen kleinen Dinge, mit denen der Schauspieler die Geschichte lebendig werden lässt, eingerichtet. Im Gespräch erfährt Renate Liedtke mehr über Marie-Sophie Oberdiecks Leidenschaft fürs Theater und ihre Arbeit in der Requisite des TN LOS!.

Erste Theaterluft hatte Marie-Sophie Oberdieck 2012 am Figuren- und Maskentheater »Theater der Nacht« in Northeim geschnuppert. Dort absolvierte sie ihr Praktikum zum Fachabitur Gestaltung. Eigentlich wollte die junge Frau eine Laufbahn als Bühnenbildnerin einschlagen, hatte aber auch noch andere Berufs-Favoriten im Kopf, u.a. wäre sie gern in die Tierpflege gegangen. Nach einem Praktikum stand die Ausbildungsstelle jedoch erst ein Jahr später als erhofft zur Verfügung. Durch Zufall hat Marie schließlich eine Ausbildung zur Zahntechnikerin gemacht. Handwerkliches Arbeiten mit unterschiedlichen Materialien – das war es, was sie an diesem Beruf lockte. Ihre Leidenschaft für das Theater ließ sie letztlich doch noch einen Berufswechsel vornehmen.

So theaterfern die Tätigkeit einer Zahntechnikerin auf den ersten Blick scheint, ist sie, zumindest, was die Requisite anbelangt, nicht. Man muss in beiden Tätigkeitsbereichen handwerklich sehr geschickt sein. Auch in der Requisite müsst ihr viel selbst erstellen?

Schon. Aber wir schauen vorab, wie groß der Aufwand bei eigener Herstellung wäre. Manchmal ist es einfacher und schneller, wenn wir etwas bestellen und dann umwandeln. Aber manche Dinge müssen einfach gebaut werden, weil es diese so gar nicht gibt.

Zum Beispiel …?

Zum Beispiel benötigen wir für »Johnny Hübner« ein Buch, bei dem man durch den Buchrücken greifen können soll. Mit ein paar Versuchen haben wir das Buch selbst hergestellt. Klar, und auch Pelzi, die Schiffsratte, haben wir gebastelt.

Was ist eigentlich die Aufgabe der Requisite am Theater?

Wir sind für die Bereitstellung der Requisiten verantwortlich. Ein Requisit ist alles, was auf der Bühne  in die Hand genommen und bespielt wird, was nicht direkt zum Kostüm oder zum Bühnenbild gehört. Das können sowohl Stühle und größere Pflanzen, wie z. B. ein Baum im Rucksack bei »Ein Deutsches Requiem« sein, als auch kleine Teetassen oder Kerzen sein, auch Trinken und Essen gehören dazu.

Essen? Müsst ihr in der Requisite manchmal kochen?

Ja, manchmal muss auch gekocht werden – Mahlzeiten, Kaffee und andere Getränke. Da muss man manchmal erfinderisch werden und Fakes machen. Zum Beispiel sollte auf der Bühne Erbsenbrei gegessen werden, was nicht so gut schmeckte. Da wurde dann Grießbrei gekocht und eingefärbt. In »Don Giovanni« haben wir demnächst eine Person auf der Bühne, die sich übergibt. Das muss ja auch irgendwie hergestellt werden und aussehen wie … Im Moment probieren wir etwas mit aufgequollenen Haferflocken aus, da sind wir noch am Suchen. Ähnlich wie bei Blutproben müssen wir letztlich schauen, was geht.

Blut? Was nehmt ihr denn für Blut? Doch nicht Ketchup?

Es gibt zum einen das Kunstblut, sogenanntes Theaterblut, welches man kaufen kann. Da kostet der Liter allerdings 70 Euro. Wenn man eine Produktion hat, in der »viel Blut fließen soll«, kann das eine teure Angelegenheit werden. Wir nehmen in diesen Fällen Rote-Beete-Saft, der mit Soßenbinder angedickt wird – je nachdem, wie die Konsistenz sein soll. Dann wird noch mit etwas Lebensmittelfarbe nachgefärbt, da der Rote-Beete-Saft etwas zu hell ist.

Auf den Proben werden meist noch nicht die Original-Requisiten benutzt …

Genau, wenn die Proben beginnen, haben wir natürlich noch nicht von heute auf morgen alle originalen Requisiten da. Da schauen wir, was ähnlich aussieht, ähnlich schwer ist oder vergleichbar in der Hand liegt. Wenn es z. B. um Schwerter geht, bieten wir vielleicht erst Stöcke an, damit man was zum Greifen und Umgehen hat, die Größe weiß und das Gewicht. Dann wird nach und nach geguckt, wie die Requisiten genau aussehen sollen und was speziell gewünscht wird.

Da arbeitest du eng mit der Ausstattung und der Regie zusammen?

Ja, ich kann nicht einfach eine quietsch pinkfarbene Tasche raussuchen. Alles muss sich in die Konzeption einfügen, da muss ich schon mit der Ausstattung sprechen, aber auch mit dem Regisseur, der meist genau beschreibt, was er sich vorstellt.

Bist du auf den Proben anwesend, um zu sehen, ob und wie die Requisiten funktionieren?

Am Anfang noch nicht. In den letzten zwei Probenwochen vor der Premiere, wenn die Abläufe schon feststehen, sind wir auf jeden Fall bei den Proben dabei. Wir müssen wissen, wann wir Dinge anreichen sollen und wann welches Requisit wo sein muss. Und das bekommen wir nur mit, wenn wir auf den Proben sind. Manchmal ist es noch etwas schwierig, weil die Szenen in der Probenphase nicht immer direkt hintereinander geprobt werden, sondern von einer in eine andere Szene gesprungen wird. Aber für den Überblick ist es ganz praktisch, dass wir auf den Proben sind.

Wenn dann aber bei einer Vorstellung ein Requisit fehlt, kann das »tödlich« sein.

Ja. Das ist auch Teil der Aufgaben der Requisite, dass wir den Vorstellungsbetrieb begleiten, vorher alles einrichten und hinterher abbauen und während der Vorstellung anreichen. Man kann mit den Darsteller*innen verabreden, wo man die Requisiten hinlegt oder sie auch notfalls, wenn es zeitlich knapp wird, hinterher tragen, aber am Ende ist jeder oder jede Darsteller*in selbst verantwortlich, wenn beim Gang auf die Bühne zum Beispiel ein sogenanntes Handrequisit vergessen wurde.

Du sprachst vorhin von Schwertern. Gibt es hier eine Waffenkammer? Stehen die Waffen unter Verschluss?

Ja, wir haben als Requisiteur:in auch die Verantwortung für Waffen, Schussgeräte und Messer auf der Bühne. Wir haben einen Waffenschrank und auch eine Waffenkammer, denn wir sind auch im Besitz von Schusswaffen, die einmal »echt« waren. Die wurden zwar schussunfähig gemacht, sehen aber noch original aus. Wenn wir so ein Requisit rumliegen lassen würden und jemand steckt das ein und geht damit eine Bank überfallen, dann erkennt niemand, ob die Waffe echt oder unecht ist. Solche Waffen sind immer unter Verschluss. Wenn eine Waffe aktuell im Stück nicht gebraucht wird, wird sie in der Waffenkammer aufbewahrt, wenn wir das Requisit im Stückbetrieb haben, wird die Waffe im Waffenschrank sicher gestellt. Während des Probenbetriebes muss alles in einer Kiste verschlossen sein.

Eure Arbeitszeiten sind – wie man so schön sagt – »theaterspezifisch«?

Ja, eben fast rund um die Uhr, aber es ist alles eine Frage der Organisation. Wir planen, wer wann auf der Probe ist und wann es überhaupt nötig ist, wann wer den Kammerdienst übernimmt und wann wir etwas bauen müssen. Natürlich gehen Vorstellungen immer vor, dann die Proben und der Kammerdienst.

Da sammelt sich im Laufe der Jahre doch einiges an Dingen an, das muss ja alles auch gelagert und katalogisiert werden. Wenn jemand jetzt z.B. ein Telefon von 1920 benötigt, findest du das sofort oder geht dann die große Suche los?

Also, es geht, hier im Theater kenne ich mich inzwischen bestens aus. Wir hatten unlängst auch viel ausgemistet. Wir haben noch das große Lager im Himmelgarten, da habe ich jetzt aber auch einen kleinen Überblick, wo was ist. Man wühlt sich durch, und guckt, haben wir ähnliches und macht Angebote. Es ist wirklich viel. Vor allem weiß man nicht, ob man Requisiten aufheben soll, ob man sie noch einmal benötigt und dann ist es genau das Ding, was man entsorgt hat, was gesucht wird. Zum Beispiel hatten wir gerade Clownsnasen aussortiert, da wurde ausgerechnet eine Woche später bei »Die 3 Musketiere« nach einer Clownsnase gefragt.

Requisiteur:in ist kein Ausbildungsberuf. Man wird es, weil man es werden will und ans Theater möchte.

Richtig. Man sollte schon sehr kreativ sein, viele Ideen haben und theateraffin sein, wenn man diesen Job machen will. Man kann sich nach drei Jahren im Beruf bei der IHK mit Kursen weiterbilden und sich dann Prüfen lassen. Manchmal wird einem vom Arbeitgeber auch ein 2-jähriges Volontariat angeboten. Die ungewöhnlichen Arbeitszeiten sollten einem bei der Berufswahl bewusst sein und, dass es mal ganz schön stressig werden kann. Aber mir macht es Spaß.

 

Renate Liedtke

 

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