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CHIFFON UND LEDER

Anja Schulz-Hentrich – 200 Kostüme für über 55 Darsteller:innen in »3 Musketiere«

Ab 24. Juni 2022 kämpfen der junge Gascogner d´Artagnan sowie Porthos, Athos und Aramis gegen die Schergen von Kardinal Richelieu und dessen Verbündete Milady de Winter – und das auf der Bühne im Schlosshof Schloss Sondershausen in Rob und Ferdi Bollands Musical »3 Musketiere«.

Die szenischen Proben haben bereits begonnen und in den Schneiderwerkstätten wird auf Hochtouren gearbeitet. Auf der Bühne tummeln sich über 55 Darsteller:innen. Sie alle müssen gemäß den konzeptionellen Vorgaben angezogen werden.

Das Entwerfen der Kostüme für »3 Musketiere« liegt in den Händen von Kostümbildnerin Anja Schulz-Hentrich. Der Umfang ist immens. Renate Liedtke kam mit ihr ins Gespräch.

Gerade hast du mir zwei Stangen – nur mit den Kostümen für die Damen und Herren des Balletts – gezeigt. Für welche Rollen sind denn diese vielen Kostüme gedacht?

Zuerst schlüpfen die Tänzerinnen und Tänzer in die Rollen von Schauspielern und einem Pferd, danach müssen sie sich sehr schnell zu Pariser Bevölkerung verwandeln, dann stehen sie als Gardisten in der Armee des Kardinals auf der Bühne, woraufhin sie sich sehr, sehr schnell zu Musketieren verwandeln müssen, wiederum sehr schnell geht es in die Nummer der Milady de Winter, wo die Damen und Herren des Balletts sehr sexy und elegant gekleidet sind. Dann gibt es für die Frauen wieder einen Umzug als Pariserinnen in einer Kabarett-Show-Nummer – so richtig mit Fummel, und das in 1 Minute 40 Sekunden, danach sind einige Gardisten, die anderen können sich schon umziehen, und die, die Gardisten-Kostüme anhatten, müssen sich dann sehr mit dem Umzug beeilen, denn sie sind dann eine barocke Jagdgesellschafft und die Damen Tiere. Dann haben sie knapp drei Minuten, um sich in Musketiere zu verwandeln. Das ist der 1. Akt. Zwei Akte gibt es.

 

Weißt du von den anderen Umzügen schon die Zeiten, in denen sie stattfinden müssen?

Das weiß ich noch nicht hundertprozentig von allen, aber der eine Umzug von »sexy-elegant« auf Pariserinnen ist 1 Minute 40 Sekunden. Da müssen die Tänzerinnen von der Bühne, zu einem kleinen Kabinett unter den Arkaden des Sondershäuser Schlosses flitzen, dort müssen sie sich ganz schnell umziehen und die Perücke wechseln. Und das in 1 Minute 40 Sekunden. Ich weiß noch nicht, wie das zu schaffen ist.

Gibt es zusätzlich Ankleider:innen?

Ja, gibt es. Es wurden extra zusätzlich Ankleider:innen engagiert und auch in der Maske sind weitere Kräfte eingeplant, sonst wäre es ganz unmöglich. Die Maske ist im Schloss in verschiedenen Räumen verteilt. Die weiter oben liegenden Räume sind für die »langsameren« Umzüge geplant, die vielleicht vier Minuten dauern, und für die ganz schnellen Umzüge wurde die Maske unten eingerichtet.

Wir haben jetzt nur vom Ballett gesprochen, aber es gibt ja auch noch Chor und Solisten…

Die Chordamen haben jeweils drei Kostüme, die Herren vier, einige der Männer haben auch noch solistische Aufgaben, so spielt Jens Bauer König Ludwig XIII. und Bonacieux, der Ehemann der Constance, ist Herr Radev und der ist auch noch 1. Gardist.

Aber diese vielen Kostüme können doch nicht alle genäht werden, ist da einiges aus dem Fundus dabei?

Ein großer Teil ist aus dem Fundus, dazu kommen sehr viele Neuanfertigungen und einige Kleidungsteile wurden gekauft und angepasst. Es sind insgesamt mehr als 200 Kostüme.

Wie entstehen deine Figurinen? Du zeichnest sie ja sogar noch.

Ich sammle vorab meine Inspirationen, finde eine Grundidee und mache eine Schnellskizze. Dann braucht man das Ganze für die Präsentation vor dem Ensemble auch noch einmal ansprechend gestaltet, dafür zeichne ich die Figurinen. Es ist auch für die Gewandmeister ein wichtiger Anhaltspunkt. Mit diesen gemalten Figurinen ist noch besser zu verstehen, wovon ich rede. Ich könnte theoretisch die Vorlage auch am Computer erstellen, aber ich merke, dass der Weg vom Kopf durch die Hand aufs Papier sehr sinnvoll ist, weil ich mich bei der Anprobe sofort erinnere, dass ich da ja noch einen Ring gezeichnet hatte oder eine Perlenkette und an den Schuhen extra Schnallen angedacht waren.

Gehört Schmuck zum Kostüm oder ist er Requisite? Ein Schmuckstück spielt ja eine für die Handlung wichtige Rolle in dem Musical.

Schmuck ist zwar ein Requisit, gehört aber definitiv immer zum Kostüm. Das würde ich auch nie aus der Hand geben wollen. Ich kann ja nicht irgendwelche Ohrringe anziehen, das organisiere ich – so auch speziell das Collier der Königin.

 

Hast du das extra gekauft?

Ja, die Brillanten – natürlich preiswerter Strass – wurden gekauft. Aber da tauchte ein Problem auf. Als ich das Collier in die Hand nahm, verdrehte es sich. Die Darstellerin der Anna von Österreich muss es auf der Szene ganz schnell anlegen. Anna hat den Schmuck dem Herzog von Buckingham als Pfand mitgegeben. Als der König sie bittet, es auf dem Ball zu tragen, muss es eiligst zurückgeholt und schnellstens angelegt werden. Da darf es nicht passieren, dass die Sängerin auf der Bühne erst anfangen muss, Kettenglieder zu sortieren. Ich hatte schon die Eingebung, vielleicht Tüll dahinter zu nähen, damit die Kette ihre Form behält – plus Magnetverschluss, damit es schnell geht beim Anlegen. Aber ich fürchte, das Collier ist für einen einfachen Magneten zu schwer. Da muss ich mir auch noch etwas überlegen.

Ihr wollt konzeptionell einen Brückenschlag von der Historie zum Heute schlagen – so Regisseurin Sabine Sterken in der Konzeptionsvorstellung. Regt das deine Phantasie besonders an?

In den alten historischen Filmen werden die grundsätzlich gut aussehenden, charmanten Männer geradezu von den Spitzenkrägen, Stulpenstiefeln und den Armmanschetten erschlagen. Wir haben einen so tollen Cast, unsere Darsteller wollte ich nicht verstecken. Vom Ansatz her sind es historische Kostüme, aber vom Schnickschnack befreit. Es gibt Ledermäntel, freilich auch Stiefel, aber ins heute transponiert.

Über welches Kostüm musstest du am meisten beim Herangehen nachdenken?

Das von der Milady de Winter. Die Figur hat den Anspruch, eine wunderschöne, attraktive Frau zu sein. Sie wird immer als ein Biest dargestellt, aber man muss genauer schauen, wo das herkommt – sie wurde als 15-Jährige vergewaltigt und dann zudem noch als Hure gebrandmarkt und dafür von Porthos verlassen. Bei ihrem Kostüm habe ich mit den Materialien gespielt. Das Kostüm hat Bestandteile aus Leder, aber ich kombiniere das Leder mit zart durchschimmerndem Chiffon, weil sie eigentlich auch eine zarte, ganz zerbrechliche Seite hat. Diese versucht sie, mit dem Leder zu verstecken. Die Kombination der beiden Materialien lässt das Ganze auch sehr sexy wirken.

 

Auch ein Pferd ist auf der Bühne?

Ja, wir brauchen ein Pferd. D′Artagnan hat ein Pferd, das heißt Pomme-de-Terre′. Unser Pferd wird von zwei Balletttänzern dargestellt, wobei der eine das Vorderteil mit Pferdkopf und der andere das Hinterteil mit Schweif ist. Die beiden können so durchaus auch einmal getrennte Wege gehen. Um den Sound von Pferdegetrappel rüber zu bringen, habe ich irische Steppschuhe besorgt, die eine etwas klobigere Form haben als der normale Steppschuh, da bekommt der Fuß schon etwas hufartiges und das Geklapper auf dem Pflaster bzw. der Bühne ist super.

Was an deiner Arbeit ist stressig?

Die Organisation der Anproben. Für 55 Leute Anproben zu organisieren, und das in den Zeiträumen, in denen die Schneiderei besetzt ist und dann, wenn auch für die Betreffenden gerade keine Probe ist, das ist logistisch ein unglaublicher Aufwand. Aber die Anproben selbst machen großen Spaß. Es ist ein tolles Ensemble, auch die neuen Gäste sind alle sehr charmant und freudig auf das, was kommt. Und wenn sich die oder der Darsteller:in dann im Kostüm wohl fühlt und ich ein gutes Feedback bekomme, ist das natürlich eine große Freude.

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